Sonntag, 22. Februar 2015

Ich kenne Anna Fenninger nicht.

War diese Woche vier Tage von meinem Arbeitgeber aus in einer Seminarwoche zwangsverpflichtet, mit allen Vor- und Nachteilen, die solche "Retreats" haben. Gutes uns reichliches Essen, rausgerissen zu sein, aus seinem Leben, endloser SmallTalk mit Menschen, mit denen du im beruflichen Alltag nicht endlosen SmallTalk führen müsstest, weil man dort stattdessen arbeitet. Also vier Tage, an denen man noch mehr ein social face aufsetzen muss, als sonst, und das nicht 8 bis 9 Stunden am Tag, sondern vom Frühstück um halb acht bis zur Weinverkostung um 20:30 Uhr. Wo es dann auch peinlich ist, wenn man um 21:00 Uhr schon auf sein Zimmer geht, weil alle anderen selbst nach 13 Stunden noch immer irgend ein (sinnentlehrtes) Thema einfällt, über das man sich oberflächlich unterhalten könnte, oder einfach gerne gratis Wein trinken. Ich weiß, es liegt an mir, ich bin der Misanthrop und die Menschheit wäre schon ausgestorben, wenn sich alle so ausgelaugt fühlen würden wie ich, nach 14 Stunden Zwangsgequatsche.

Aber die meisten meiner Mitmenschen in diesen vier Tagen waren nett, manche sogar sehr nett. In einem Seminar ging es um Kommunikation im beruflichen Alltag, vom Anfänger bis zur Person mit 15 Jahren Berufserfahrung. Was kann  man bei so einer Bandbreite an Erfahrung machen? Man macht das Beste daraus. Schönerweise gab es gerade in diesem Kurs, von dem man sich überhaupt keine Inhalte erwarten durfte, eine sehr angenehme Gruppendynamik, was umso überraschender war, da nur weibliche Seminarteilnehmerinnen anwesend waren. Dadurch konnte die Gruppe ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit und allen großen und kleinen Problemchen, die diese Zugehörigkeit mit sich bringt, vielleicht ehrlicher gegenüber stehen. Jedenfalls gebührt den Seminarleiterinnen ein Preis, die zwei Tage lang diese Thematik bei zwangsverpflichteten Seminarteilnehmerinnen mit Leben füllen mussten,  die von drei Mahlzeiten am Tag vollgefressen, einem Kater und zu wenig Bewegung im Kreis auf ihren Stühlen saßen.

Ein Spielchen, neben "sich spüren" und "den andere spüren" bestand darin, dass man auf den Rücken seines Nachbarn ein Zettelchen heftete, mit dem Namen einer berühmten Persönlichkeit versehen. Aufgrund von Fragetechniken ging es dann darum, wie schnell man errät, welcher Name auf deinem Rücken haftet. Ich hatte bald einmal heraußen, dass es sich um eine Frau handelte die Österreicherin war, die jung war, sehr jung, die hübsch war, sehr hübsch, die jeder kannte, und zwar wirklich jeder und die keine Politikerin war und nicht beim ORF arbeitete. Also musste es eine Sportlerin sein. Sobald ich wusste, dass es sich um eine Österreicherin handelte, wurde mir schon mulmig. Nur weil ganz Österreich sich gegenseitig kennt, heißt das nicht, dass diese Person auch außerhalb von Österreich eine berühmte Persönlichkeit ist, sehr, sehr oft, besser gesagt, meistens, ist das Gegenteil der Fall, wenn es sich nicht gerade um Freud, Sissi oder Falco handelt. Ich weiß, für (fast) jeden Österreicher absolut unverständlich, dass man am besten überhaupt keinen Österreicher nimmt, wenn man es um berühmte Persönlichkeiten geht, sondern besser ins "Globale" geht. Ich warnte gleich alle vor, als ich wusste, dass von mir erwartet wurde, dass jetzt der Name einer jungen, hübschen, österreichischen Sportlerin aus meinem Mund herausgeschossen kommen sollte. Er kam nicht und ich wurde äußerst unglaubwürdig von der netten Gruppe mit der netten Gruppendynamik beäugt. Ich entschuldigte mich sogleich und dachte mir, warum gerade ich, auf den Rücken meiner Seminarkolleginnen hafteten Namen wie Angela Merkel, die gerade ich das ganze Seminar lang immer wieder erwähnte, im stillen Heimweh nach Deutschland, Julia Roberts, Angelina Jolie. Ja, das sind berühmte Persönlichkeiten. Diesen Hans Wurst, der den Song Contest letztes Jahr gewonnen hat, hätte ich unter vielen Nachdenken noch herausgebracht, aber ansonsten musste ich mir eingestehen. Ich bin seit vier Monaten wieder in Österreich und ich verweigere mich strickt jeglichem kollektivem geistigem Österreichgeschunkel, in dem ich in der Früh dieses Gratisblättchen in der U-Bahn lese, indem ich österr. Nachrichten schaue und wenn, dann nur die ZIB 2, weil Armin Wolf sicher eine spezielle Schulung von 3Sat erhalten hat, dass auf diesem Sender Auslandsösterreicher nicht zu sehr mit österr. Eigentümelei verstört werden sollen. Obwohl stimmt auch nicht, die ständige Schocktherapie, Strache in die ZIB 2 einzuladen, soll die Auslandsösterreicher sicher doch längerfristig im Ausland halten.

Jedenfalls, ich kenne Anna Fenninger nicht und ich kenne ganz, ganz viele andere "berühmte Persönlichkeiten", die in den letzten 10-20 Jahren in Österreich ihre 10 Minuten Ruhm genossen haben, nicht. Bin ich deshalb noch nicht in Österreich angekommen, weil ich Anna Fenninger nicht kenne? Oder interessiere ich mich einfach nicht für östereichischen Sport? Ich weiß es nicht? Ich weiß jetzt nur, wie fesch sie ist, kann mich erinnern, wie wichtig Schifahren für ÖsterreicherInnen ist und wie sehr mir die Leidenschaft und Professionalität der deutschen Fußballkultur fehlt. Dort kenne ich, wie fast jeder Deutsche, auch die, die sich nicht für Fußball interessieren, jeden Nationalspieler und kann stundenlang über Jörgi löw philosophieren. Das sind unsere Jungs. Deshalb darf ich den Österreichern nicht übel nehmen, dass sie ihre erfolgreichen Schifahrerinnen und Schifahrer lieben. Das sind ihre feschen Buabn und Madeln.

Zuhause ist man dort, wo man mitreden kann, weil einen die Thematik interessiert, weil man sich einbildet, dass sie einen betrifft.

Am nächsten Tag hatten wir ein Seminar zum Thema Projektmanagement. Seminarleiterin war eine Deutsche. Ich verstand mich mit ihr auf Anhieb. In den Pausen unterhielten wir uns über Vor- und Nachteile in Österreich und Deutschland. Mir tat ihre hochdeutsche Sprache gut, ihr distanzierter Zugang zu allem, ihre Schmähfreiheit. Irgendwann fragte ich sie, ob sie Anna Fenninger kennt. Sie schaute mich erstaunt an. "Noch nie gehört." Sie lebt seit 10 Jahren in Wien, liest auch nicht die Gratisblättchen in der U-Bahn, schaut auch nicht täglich österr. Nachrichten, präferiert die deutsche Medienlandschaft gegenüber der österreichischen und liebt Wien trotzdem, wie ich.

Wir werden uns jetzt bald einmal auf einen Kaffee treffen. Ich war jetzt vier Tage lang mit 60 ÖsterreicherInnen und einer Deutschen zusammen. Ich habe viele nette Menschen kennen gelernt, ich werde aber nur eine freiwillig wieder sehen und das ist eine Deutsche die Anna Fenninger nicht kennt und trotzdem findet, Österreich ist ein guter Ort, auch wenn sie nie ganz hier ankommen wird. 

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